Anmerkungen zu Wiener Kunst in Berlin
Von Philipp Maurer
Selbstverständlich ist „Wiener Blut“ eine Mischung aus verschiedenen Teilen, so wie die namensgebende Operette von Johann Strauß Sohn, die eigentlich eine Kompilation aus zahlreichen älteren Musikstücken Strauß’ ist, zusammengestellt vom Theaterprofi Adolf Müller jun. Was allerdings zusammengefügt wurde, stammt aus einheitlichen Grundgedanken: dem flotten Dreiertakt, in dem Johann Strauß sein erotischen Gesamtkunstwerk – schauen Sie WalzertänzerInnen einmal genau zu: wohin die Beine gleiten! – schuf, und dem Vierertakt, der bei Johann Strauß niemals zum Marschieren, sondern nur zum Hüpfen taugt. Karl Kraus stellte fest, dass es „wohl kaum einen Wiener gibt, der nicht felsenfest darauf bauen würde, dass er ein apartes Blut mitbekommen habe“ und dass der Wiener „überzeugt ist, daß überhaupt nur er ein Blut bekommen habe und kein anderer“. Darum wäre der Wiener höchst überrascht, wenn man ihm etwas „von einem feschen Petersburger Blut“ sagen würde. In Wien geboren zu sein, sagt Kraus weiter, hält der Wiener für eine Einzigartigkeit und wäre „sehr wohl imstande, bei der Ausfertigung eines Reisepasses darauf zu dringen, daß sein Geburtsort zugleich als besonderes Kennzeichen notiert werde.“Karl Kraus untergräbt in seiner „Fackel“ die Wiener Selbstzufriedenheit und begründet die Ambivalenz, mit der wir heute das Wiener-Sein betrachten. Klischees tun sich auf, und man fragt sich, ob und wie viel an den Klischees wohl dran sei, was Wahrheit sei, was Wiener Schmäh. Der Schwarze Humor, der „Hamua“, eine seltsame Mischung aus Bosheit, Mitleid, Zukunftsangst, Weltschmerz und Aggressivität führte Peter Hammerschlag zu der Erkenntnis: „Krüppel haben so was Rührendes“. „Der Tod, das muss ein Wiener sein“, behauptete Georg Kreisler, (und fügte hinzu: „genau wie die Lieb’ a Französin“), wobei er sich auf die Wiener Heurigenlieder berufen durfte, in denen der Tod öfter vorkommt als die Liebe. Die offenbart sich in Klimt-Gemälden als versteckte, in Schiele-Zeichnungen als offensive, in frühen Aktfotos aus Wien als käufliche Erotik. Wiener Selbstbewusstsein verbindet sich in Musils „Mann ohne Eigenschaften“ mit einem kollektiven Minderwertigkeitskomplex, aus dem die Verwicklungen der „Parallelaktion“, dem Versuch, es Berlin gleichzutun, erwachsen. „Wiener Blut“ spielte eine dominierende Rolle im Wiener Aktionismus der 1960er Jahre, dessen Akteur Günter Brus ins Berliner Exil flüchtete, und im Realismus Alfred Hrdlickas, der postulierte, „alle Kunst geht vom Fleisch aus“. Beide machten wichtige Karriereschritte in Berlin und kehrten gestärkt nach Wien zurück. Die von Thomas Nemec getroffene Auswahl der Wiener KünstlerInnen für die Galerie des Kulturbundes Treptow-Köpenick reflektiert Wiener Klischees als treffliche Themen der Kunst. Thomas Nemec, der schon oft in der Berliner Druckgraphikwerkstatt Treptow-Köpenick zu Gast war, umrundet konsequent und unermüdlich den Themenkreis Sexualität, Lebenslust, Aggression und Unterwerfung – ein durchaus wienerisches Thema: der Name (der Mutter!) des im Wiener Staatsarchiv tätigen Juristen und Historikers Leopold Sacher-Masoch wurde zum terminus technicus. Fragen der Identität und sexueller Präferenzen stellt der Videokünstler Gerald Jindra und öffnet den Blick Richtung Surrealismus, der im Wiener Untergrund der 1960er und 1970er Jahre eine besondere politisch-kritische Spielart ausformulierte. Ebenso surreal, verspielt, politisch-kritisch äußert sich Elvira Rajek, die mit ihren Schuhobjekten international erfolgreich ist. Rajek arbeitet in feministischen Künstlerinnengruppen mit und führt die von Valie Export begründete Tradition weiter. Der „Schmäh“, jene Wiener Variante des ironisch-bösartigen Witzes, spielt in ihren Arbeiten eine zentrale Rolle, und sie schließt ironisch an jene Zeiten im 19. Jahrhundert an, als Wien elegante Modehauptstadt der Welt war.
Alfred SpitzerTom Phelan, Elvira Rajek, Gerald Jindra & Gerhard Aba
Der Tod spielt die zentrale Rolle in den aktuellen Fotografien Gerhard Abas. Randbereiche, Schattenseiten haben Aba immer interessiert, egal ob er als Kriegsreporter unterwegs war oder anteilnehmende, liebevolle Porträts von Frauen mit körperlichen Verstümmelungen aufgenommen hat. „Spitzers Art des Wiener Realismus“ (so Spitzer über seine Kunst) zeigt uns dicke, hässliche Wienerinnen, Hausbesorgerinnen und Pensionistinnen. Spitzer steht zu seinen Figuren, die er voller Empathie für diese vom Leben Benachteiligten zeigt, ambivalent zwischen Neugier und Mitleid, Verständnis und Verachtung. Wie sich das „Wiener Blut“ von außen erfrischt, zeigt uns der aus Irland zugewanderte Druckgraphiker Tom Phelan. Seine geometrische abstrakte Kunst stellt sich in die Tradition des „Quadratl-Hofmann“, des Jugendstilkünstlers Josef Hofmann, dessen Stil in Wien nie populär geworden war: zu rational, zu emotionslos war seine Kunst. Aber dieses Rationale, Kühle, das Tom Phelan repräsentiert, ist notwendig für Wien: ohne ein Stückel Brot mit Salz könnte man das Wiener Schmalz mit Sachertorte nicht aushalten. Lokale Traditionen, mit ironischer Distanz betrachtet und mit zugewanderten Qualitäten ergänzt, scheinen mir ein gutes Mittel zu sein, der kulturellen Globalisierung entgegenzutreten und, indem möglichst viele Kulturen weiterleben, multikulturell zu leben.